Aaron Fischer Ingenieur, Vater, Heimwerker, Problemlöser

30 Juni, 2011

Von der Fernsehgesellschaft zum Content-Provider

Netzkultur

Je länger ich das Internet verwende und darin lebe, desto mehr werden mir die Zusammenhänge, Trends und Veränderungen klar. Vermutlich geht es den meisten meiner Leser auch so: Wir sind eine Generation, die praktisch von Anfang an dabei war, als das Internet entstand. Wir wissen genau, wie sich Bandbreite im zweistelligen KBit-Bereich anfühlt und sind mit Fachtermini wie ROFL oder RTFM bestens vertraut -- denn wir haben es erfunden.

Web usage

Doch wir sind nicht der Mainstream, an dem man irgend etwas ablesen könnte. Wir sind bestenfalls die, die sich Gedanken über die Probleme von morgen machen. Der Rest der Welt bekommt davon schlicht nichts mit.

Meine Eltern sind mit dem Fernseher aufgewachsen. Der reine Konsum von Information war allgegenwärtig. Man schaute in die Röhre und lies sich von dem berieseln, was das Hörzu Programmheftchen vorgab. Wer etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, kaufte sich einen zeitgesteuerten Videorecorder und entschied selbst, wann er was ansehen wollte. Das war aber vermutlich eine sehr geringe Minderheit.

Wir sind mit Computern und dem Internet aufgewachsen. Es war von Anfang an klar, dass es um geben und nehmen geht. Anfangs noch über das Usenet, dann über (oft in Perl geschriebene) Web-Foren wurde über technische Dinge diskutiert. Es ging aber fast immer darum, irgend welche Probleme zu lösen.

Später, als dann aus den Gästebüchern und Kontaktformularen Blogs wurden, rückte der Selbstdarstellungs-Charakter immer mehr in den Vordergrund. Es ging mehr darum, sich im Web zu präsentieren und sich ein Portfolio aufzubauen. Die Wiki-Phase vereinte dann die Selbstdarstellung mit dem For the greater good-Gedanken. Je mehr Menschen das Internet nutzten, desto mehr konsumierten den eigenen Text auf Wikipedia und Co. (und man wurde sogar zitiert oder komplett kopiert!).

Die Web-Foren hatten im Laufe der Zeit immer und immer mehr Features. Erst waren es nur private Nachrichten (holy shit, Nachrichten ohne Email!), dann das Anlegen von Buddies, Bilder hochladen usw. Daraus entstanden dann schnell unzählige Portale für so ziemlich jeden Lebensbereich in 20-facher Ausführung. Jeder wollte ein Portal haben, die Gier nach den meiste Membern fand ihnen Höhepunkt. Verständlicherweise überlebten nur einige wenige den anfänglichen Hype, der gescheiterte Rest dümpelt vermutlich noch heute auf vergessenen Webspace-Hostern herum.

Mit digg.com gab (ja, gab) es kurzweilig eine weitere Möglichkeit, ganz groß herauszukommen, ohne eine große Userbase zu haben. Man brauchte nur die richtige Headline und etwas Glück.

StudiVZ setzte auf dem üblichen Portal-Gedanken auf , doch da die Seite nach kurzer Zeit eine so unglaublich große Masse an Menschen an sich zog, wollte plötzlich jeder drin sein. Ursprünglich war das Portal nur für Studenten gedacht, doch schnell wurden die Felder Hochschule und Studiengang in der Eingabemaske für so ziemlich alles missbraucht. Kurse und Gruppen wurden zu Sammlerobjekten (wer hat die meisten Gruppen) umfunktioniert.

Als dann Facebook in die westliche Welt überschwappte, gab es die lang ersehnte general purpose Plattform für alle. Mit dem parallel wachsenden Smartphone-Markt war der perfekte Nährboden geschaffen, um der breiten Masse zu zeigen, dass das Internet keine reine Konsum-Apparatur ist.

Dabei bahnt sich (aus meiner Sicht) ein Problem an: Für Menschen, die mit Facebook das Internet kennenlernen, haben die persönlichen Daten keinen Wert. Eltern legen ohne nachzudenken einen Facebook-Account für ihr Baby an (inklusive Bilder und Youtube-Videos natürlich), geben sich keine Mühe bei der Passwortvergabe und geben bereitwillig all ihre Daten der ganzen Welt preis. Es ist fast aussichtslos, dieser Generation Dinge wie RSS oder den Vorteil von semantischen Daten zu erklären. Gruppen wie LulzSec oder Anonymous versuchen (versuchten) mit drastischen Mitteln auf diese Problematik hinzuweisen. Leider versteht genau die Zielgruppe für die sie gedacht ist, die Botschaft nicht.

Vielleicht braucht es ja noch 10 weitere Fälle wie bei Sony oder der CityBank, um das Thema Datensensibilisierung in den Köpfen des Mainstreams publik zu machen. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist das der einzige Weg, man lernt ja bekanntlich am besten aus Erfahrungen.