Aaron Fischer Ingenieur, Vater, Heimwerker, Problemlöser

13 July, 2016

Titel

Software Engineering

Dem (akademischen) Titel wird ganz unterschiedliche Bedeutung und Ruf zugesprochen, je nach dem welcher Titel und in welchem Umfeld bzw. Branche er Anwendung findet. Der Titel Dr. beispielsweise hat einen sehr erhabenen Ruf. In der Software/IT-Branche hingegen darf sich jeder selbst zum Software Architect ernennen. Warum ist das so?

In der Handwerks-Branche gibt es strikte Regeln. Nur ein Elektriker-Meister darf den Schaltschrank aufbauen und die Qualitätssicherung übernehmen; VDE-Vorschrift. Niemand würde auf die Idee kommen, sich selbst zum Meister zu ernennen und anfangen Panzersicherungen mit einem Topflappen einzusetzen. Das ist auch richtig so, sie haben dafür auch gearbeitet und gelernt.

Ärzte hängen stolz ihre Urkunden im Sprechzimmer auf und bestehen vehement auf ihr Dr. Präfix. Das ist auch ihr gutes Recht, sie haben dafür auch viel Geld und Zeit geopfert -- und schwer gearbeitet (sofern sie nicht den Ehrendoktor verliehen bekommen haben). Gibt sich dennoch jemand unrechtmäßig den Doktortitel, wird er/sie öffentlich an den Pranger gestellt.

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In der Software/IT-Branche sieht es etwas anders aus. Ich habe Software Engineering studiert und darf den Titel Ingenieur bzw. B.Sc. tragen. Dafür habe ich einiges an Strapazen auf mich genommen, um überhaupt studieren zu dürfen. Während andere schon ihr Geld verdienten, habe ich sehr hart für einen guten Abschluss gearbeitet und sogar einen kleinen Schuldenberg angehäuft, der bis heute noch nicht vollständig abbezahlt ist. Ich könnte also mit Stolz meinen Titel tragen, doch ist er mir schon fast peinlich. Meine Urkunde liegt in irgend einer Kiste. Zum Spaß hatte ich mal den Titel bei meiner Krankenkasse angegeben. Nachdem mich dann mein Zahnarzt ungläubig angesehen hat und mich mit einem grinsen fragte: Was sind das für Buchstaben vor ihrem Namen?, hatte ich ihn schnell wieder entfernt.

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Der Titel selbst war bei keinem meiner Jobs ein Einstellungskriterium. Vielmehr zählte das, was ich bisher an Projekten gemacht hatte -- fast so wie bei Künstlern oder Fotografen mit ihrer Mappe. Das Github-Profil ist aussagekräftiger als der Abschluss. Eigentlich nicht verwunderlich: Der Markt sucht verzweifelt nach Cloud Backend Specialists, Senior SCRUM Master, Principal Software Architects und Chief Technology Officers. Ins lächerliche gezogen wird es dann mit Code Ninjas und Javascript Hackern. Manche Titel machen nur noch Firmenintern Sinn. Keiner versteht mehr, was sich hinter den (Job) Titeln verbirgt, denn jeder nennt sich wie er möchte. Ob hinter einem Lead Software Architect ein Schreiner mit abgebrochener Lehre, ein Bachelor, Master, Doktor oder Graf von und zu steckt, ist völlig irrelevant. Dabei versucht sich die Branche seit Jahrzehnten mit der des Handwerks zu vergleichen (was allein einen eigenen Artikel füllen würde).

Um diesem Chaos zu entfliehen gibt es verschiedene unabhängige Schulungen wie PRINCE2 oder die Linux Foundation Schulungen, um irgend wie auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Größere Firmen wie Microsoft (MCSA), Cisco, Oracle oder Dell haben den Braten gerochen und bieten Partnerprogramme an, um die Firmen noch weiter an die eigenen Produkte zu binden. Win Win.

Warum also einen Titel in der Software/IT-Branche, wenn er sowieso bedeutungslos ist? Warum überhaupt studieren, wenn es beim Bewerbungsgespräch keine Rolle spielt? Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Strebt man keine Karriere im Akademischen Umfeld an, ist sie durchaus berechtigt.

Wer studiert und sich einen Titel des Titels willens erarbeitet, wird meiner Meinung in der Software/IT-Branche überrascht sein, dass es hier etwas anders läuft. Natürlich kommt es immer darauf an, wo man danach arbeitet. Große Konzerne wie IBM haben eine Formel zur Berechnung des Einstiegsgehalts. Hier macht sich natürlich ein Titel deutlich bemerkbar. Doch wer nur wegen dem finanziellen Vorsprung studiert, kann sich diesen auch ohne Studium mit der gewonnenen Zeit erarbeiten.

Ich habe in meiner Studienzeit einiges gelernt, was ich vermutlich nicht gelernt hätte wenn ich direkt angefangen hätte zu arbeiten. Eigenverantwortung, Selbstdisziplin, Durchhaltevermögen, wissenschaftliches Arbeiten, den Mut sich mit einem Problem grundlegend zu befassen (nicht nur googlen), Grundlagen verstehen, mit Büchern arbeiten, Informationen abseits des Internets beschaffen, Umgang mit Konflikten und extremen Stresssituationen, Arbeiten im Team, ...

Das war es mir wert. Nicht wegen dem Titel, wegen den Erfahrungen. Und ich glaube damit bin ich nicht allein. Studieren ist also nicht sinnlos, es ist nur die Frage, was man daraus macht.