Aaron Fischer Ingenieur, Vater, Heimwerker, Problemlöser

23 Januar, 2017

Gefühlte Wahrheit

Unsortiert

Ich wollte hier eigentlich nicht politisch werden, doch ich finde es ist an der Zeit, gewissen Strömungen gegenzusteuern und Stellung zu beziehen. Abwarten und hoffen dass die Vernunft schon siegen wird ist zur schlechten Option geworden.

Warum wird es immer schwerer, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden? Damit beschäftigen sich gerade viele. Der POTUS lügt dreist und dreckig die ganze Welt an und jeder der mit der Wahrheit dakommt, wird mit Fake News abgestempelt. Der Begriff alternative Wahrheit ist schon ein Absurdum sondersgleichen, welches man bisher nur aus Wurmloch-Theorien und SciFi-Filmen kennt -- jetzt aber aus dem Mund von Kellyanne Conway (der Beraterin des POTUS). Der Begriff Lügenpresse verhilft der ganz weit rechts Partei AfD zur Mobilisierung von Stimmen, das Bauchgefühl katapultiert die Briten aus der EU und postfaktisch wird zum Wort des Jahres 2016. Was soll dieser ganze Blödsinn eigentlich?

Die Wahrheit ist schon lange nicht mehr der Goldstandard. Es wird jetzt aus dem Bauch heraus entschieden. Wenn Jens auf Facebook schreibt: Das fühlt sich irgend wie falsch an hat das mehr Gewicht als die Fakten. Politik ist ein hochkomplexes Gebilde, bei dem man nicht aus dem Bauch raus auf Basis seiner eigenen kleinen Filterblase entscheidet. Jeder Aktion hat eine Unzahl an Implikationen als Konsequenz. Wir sind als Welt in den letzten paar Jahrzehnten immer weiter zusammengerückt und sind immer mehr miteinander vernetzt. Alles hängt zusammen. Wer hier nur nach sich selbst schaut, riskiert fatale Folgen für sich und auch die Anderen.

Vielen Menschen fällt es immer schwerer zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden. Das sind zwei komplett unterschiedliche Dinge. Ein Fakt -- z.B. dass eine 6 eine 6 ist und keine 9 ist so und bleibt auch so. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist im Unrecht. Macht jemand eine Aussage und behauptet anschließend er hätte das nicht gesagt, lügt. Period. Jeder ist für sein Handeln selbst verantwortlich. Ein (politischer) Diskurs ist etwas ganz anderes. Jeder darf eine eigene Meinung haben, das nennt man Meinungsfreiheit (die aber auch Ihre Grenzen hat). Die eigene Meinung ist extrem wichtig, um einen Konsens zu finden, der für alle akzeptabel ist.

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Jeder kennt wohl diese Zeichnung. Aber eigentlich suggeriert sie etwas ganz falsches. Es kommt nicht auf den Standpunkt an. Einer der beiden hat nicht recht, denn irgend jemand hat eine Zahl auf den Boden gemalt. Die frage ist nun, welche Zahl. Die beiden sollten sich umsehen und einen Schritt zurück machen; nachsehen ob es noch andere Zahlen gibt an denen man sich orientieren kann, oder jemanden Fragen der es weiß.

US-Senator Daniel Patrick Moynihan hat das ganz treffend gesagt:

Everyone is entitled to his own opinion, but not to his own facts.

Google, Facebook und Twitter stecken uns in unsere Filterblasen. Neuronale Netze lernen unsere kleine Welt kennen; tüten uns ein und versehen uns mit Tags. Zeigen uns nur relevantes, so dass wir dem Datenstrom Herr werden. Alles was hier nicht rein passt, fühlt sich falsch an (Echokammer-Effekt). Die Vermischung von Fakten und Meinungen ist perfekt. Die Wahrheit wird zur Option.

Die eigene Filterblase zu verlassen ist mühsam. Sich auf unbequeme Meinungen und Standpunkte anderer einzulassen auch. Um die Wahrheit zu erarbeiten braucht es das aber. Ich gehöre zur Generation Y -- ich bin also mit dem Internet aufgewachsen. Sprüche wie If it is on the internet, it must be real, Pic or it didn't happen oder The cake is a lie sind nicht nur Gags -- sie beschreiben eigentlich den Umgang mit der digitalen Welt. Informationen sollte man stets hinterfragen und belegen, bevor man sie für valide hält.

Es ist einfach, etwas zu glauben, das in das eigene Denkmuster passt und so aufbereitet ist, dass man es leicht konsumieren kann. Ein 30-Sekunden AfD-Promovideo über einen gewalttätigen Syrer in der Facebook-Timeline von potentiellen Wählern kann da schon viel bewirken. Schnell schließt man sich der Meinung an, ohne überhaupt darüber nachgedacht zu haben. Besonders dann, wenn es mantramäßig wiederholt wird. Ich habe manchmal Sorge, dass die heutige Jugend zu bequem geworden ist, sich Fakten zu erarbeiten.

Denn die Techniken der Meinungsbeeinflussung sind perfider als man denkt. Z.B. mit einer noch absurderen Geschichte von etwas viel wichtigerem ablenken. Nach der Amtseinführung von Trump haben vier Millionen(!) Menschen demonstriert. Als Antwort kommt die offensichtliche Lüge, dass bei seiner Inaugurationsfeier mehr Menschen da gewesen wären als bei der Amtseinführung von Obama. Die Geschichte war so einfach zu wiederlegen, dass sich das Internet empört darüber ausgelassen hat -- und die vier Millionen Demonstranten waren plötzlich ganz unwichtig. So eine Aktion kann Absicht sein. Die eigene Filterblase kann einem zum Verhängnis führen. Russland hat dafür ganze Troll-Fabriken. Man erkauft sich eine Meinung -- oder gleich einen Fakt.

Es bilden sich schnell drei Gruppen. Die einen, die sagen: Das wird schon stimmen., selbst wenn die Fakten offenkundig dagegensprechen. Die anderen sagen: Das ist doch vollkommen gelogen, hier die Beweise. Und die dritte Gruppe kommt zum Schluss: Man kann nicht sagen, wer jetzt recht hat, weil ja Aussage gegen Aussage steht. Und schon sind Beweise oder die Wahrheit nicht mehr von Bedeutung.

Richtig schlimm wird es dann, wenn versucht wird, Fakten verschwinden zu lassen, oder wenn die Verifikation der Wahrheit unmöglich gemacht wird. Die unangenehme Presse wird ausgeladen oder gleich rausgeschmissen, wenn sie doch auftaucht.

Erschwerend dazu kann man viele Sachen nicht 100% selbst verifizieren, wenn man es nicht selbst mit eigenen Augen gesehen hat. Wie schlimm ist der Bürgerkrieg in Syrien wirklich? Kann Donald Trump wirklich nicht richtig lesen? Wem also vertrauen? In George Orwells 1984 wird daher das Ministerium für Wahrheit eingeführt. SPD und CDU diskutieren schon über einen Gesetzesentwurf für ein Abwehramt gegen Desinformation.

Was also tun? Welcher Quelle kann ich noch vertrauen? Zu welchem Maße? Folgende (zugegebenermaßen eher technische) Dinge halte ich für essenziell und wichtig in Zusammenhang mit unserer heutigen Gesellschaft:

Was wir in den letzten Jahren erleben, ist die Vermischung von Fakten und persönlichen Meinungen. Wir laufen aber Gefahr, dass wir jetzt alle nach Amerika und Russland schauen und mit dem Finger auf Putin, Trump und die dummen Ammis zeigen. Doch vor der Haustüre hängt das AfD-Plakat und die NPD fährt mit dem Megafon durch die Straßen und brüllt die Propaganda ins Land (selbst erlebt!). Informationen werden zur Waffe und ohne es überhaupt zu merken, haben wir auch den Totalitarismus vor der Türe. Aber Hauptsache die neue App ist auf dem iPhone. Das ist ja schließlich das, was zählt. Wir sind so mit uns selbst beschäftigt, dass wir garnicht mitbekommen, was um uns herum passiert. Ich glaube für meine Großeltern muss es noch viel schlimmer sein als für mich. Sie haben am eigenen Leib erfahen, wohin so etwas führen kann.

Es lohnt sich also meiner Meinung nach dafür zu kämpfen, dass Phrasen wie America first oder wir deutschen und die Ausländer keine Bedeutung mehr spielen. Am Ende stehen wir alle auf dem selben kleinen Dreck-Klumpen den wir Erde nennen, der im Vergleich zum Rest so unbedeutend winzig erscheint. Für diesen sind wir alle verantwortlich.